Die Schlacht von Gallipoli 1915
Die deutsche Beteiligung
Bereits im Mai 1915 waren auch Wasserflugzeuge vom Sonderkommando aus Deutschland erbeten worden. Das Oberkommando der Kaiserlichen Marine entsprach diesem Wunsch und sendete im Juni die ersten von einem 100 PS starken Motor angetriebenen Gotha WD 1 Wasserflugzeuge nebst drei Piloten, drei Beobachtern und sechs Mechanikern unter Führung von Kapitänleutnant Ernst Liebmann in die Türkei. Sie wurden, wie bereits die Landflugzeuge, per Bahn- und Lufttransport nach San Stefano überführt, wo eine Maschine zu Ausbildungszwecken verblieb, während die beiden anderen nach Çanak verlegt wurden. Dort war zunächst nur ein kleiner Schuppen vorhanden, der vergrößert wurde und zur Unterbringung eines Flugzeuges ausreichte. Ein zweiter Schuppen wurde bei Nagara errichtet[i]. Die drei Flugzeuge bildeten fortan die Wasserfliegerabteilung, die dem Befehlshaber der Dardanellen, Admiral von Usedom, unterstellt wurde. Mitte Juli fanden die ersten Flüge nach Mudros, Tenedos und Imbros statt. Der Flugbetrieb musste auf die Mondscheinnächte und die Morgenstunden gelegt werden, da die langsamen 100-PS-Maschinen ohne jede Armierung den schnelleren feindlichen Jagdflugzeugen deutlich unterlegen waren. Trotzdem konnten über 50 Flüge über feindlichem Gebiet und sogar vereinzelt Bombenabwürfe durchgeführt werden. Ausserdem wurden bei gutem Wetter U-Boot-Aufklärungsflüge über dem Marmara-Meer unternommen. Die nahende Augustoffensive war durch Beobachtungsflüge der Wasserfliegerabteilung aufgeklärt worden, die in der Nacht vom 27. auf den 28. Juli bei Mondlicht 87 Schiffe bei der Mudros-Bucht entdeckt hatte. Eines der drei Flugzeuge ging Ende August durch Bruchlandung verloren.
Auf weitere Anforderung wurden im September die vierte und fünfte WD I sowie drei 150-PS-Modelle Gotha WD II und eine 150 PS Gotha WD II, bewaffnet mit einem Maschinengewehr, der Wasserfliegerabteilung zugeteilt. Zur Unterbringung waren zwei weitere Schuppen in Çanak errichtet worden. Obwohl die Hallen in Çanak in der Reichweite der feindlichen Schiffsartillerie lagen, waren sie wegen guter Tarnung nicht von der alliierten Aufklärung entdeckt worden. Mit den neuen, stärkeren Flugzeugen konnten nun bei jedem Flugwetter Aufklärungsflüge und Angriffe auf feindliche Stellungen, Schiffe und Einrichtungen erfolgen. Dazu wurden weitere Versorgungsposten aufgebaut, um die Reichweite der Flugzeuge zu erhöhen. In Rodosto entstand eine Flugstation, auf der Marmar-Insel Kutali ein Depot mit Flugbetriebsstoffen. Von hier aus wurden Flüge zur U-Bootsuche und zur Sicherung der Transporte zu den Dardanellen unternommen. Eine dritte Station wurde am Bosporus in Kawak gebaut. Das dort dauerhaft stationierte Flugzeug übernahm Aufklärungsflüge über dem Schwarzen Meer und überwachte ein- und auslaufende Schiffe gegen feindliche U-Boote.
Da man ausser Bomben über keine Kampfmittel zur Bekämpfung von U-Booten aus der Luft verfügte, sollte ein Großkampflugzeug mit einer ausreichend großen Nutzlast beschafft werden, das auch einen Torpedo transportieren konnte. Ein solches Flugzeu befand sich seit Juli 1915 in der Erprobung in Deutschland, war aber offensichtlich technisch noch nicht ausgereift. Trotzdem bereitete man in Istanbul alles für die Aufnahme dieses Großkampfflugzeuges vor. Dazu war Oberleutnant z. S. Rasch an den Bosporus und an die Dardanellen gereist, um die organisatorischen Maßnahmen und Infrastruktur zu prüfen[ii]. Da die Entwicklung des Gotha Doppeldeckers, der bei 21 m Spannweite und zwei je 160 PS starken Motoren einen 35-cm-Torpedo transportieren können sollte, andauerte, konnte dieses Modell bis zum Kriegsende nicht an die Dardanellenfront geliefert werden. Doch schon bei der Zuweisung der verfügbaren Ersatzmaschinen gab es erneut Eifersüchteleien zwischen den Landfliegern, die Hauptmann Serno und der 5. Armee unterstellt waren und der Wasserfliegerabteilung, die dem Dardanellenkommando und damit Admiral von Usedom zugehörte. Letztere verwehrte sich nicht nur dagegen, dass Ersatzmaschinen aus Deutschland an die Fliegerabteilung 1 ausgeliefert wurden, sondern protestierte gegenüber Berlin, dass man offensichtlich beabsichtigte, die Wasserfliegerabteilung den Landfliegern einzuverleiben. Am 10. September hatte deswegen von Usedom geschrieben: „Die Gewaehr fuer die volle Ausnutzung dieser Wasserflugzeuge liegt in der engen Verbindung der deutschen Wasserfliegerabteilung mit dem deutschen Befehlshaber in den Dardanellen, und den hiesigen deutschen Dienstellen. [...] Einen sachlichen Grund auch diese 5 Flugzeuge der tuerkischen Regierung und damit der Fliegerinspektion zu ueberweisen kann ich bei der dort vorhandenen grossen Zahl von Armeeflugzeugen nicht einsehen.“[iii] Dazu lobte er die erfolgreiche Arbeit der Wasserfliegerabteilung am 31. Oktober 1915: „Die Bildung einer besonderen deutschen Wasserfliegerabteilung erwies sich als sehr zweckentsprechend, da das ausgebildete deutsche Marinefliegerpersonal sowohl in der Fernaufklärung über den Inseln, als auch bei der Bekämpfung der U-Boote durch seine seemännischen Fachkenntnisse den Landfliegern überlegen ist. Die Flugzeuge belegten die französischen Fliegerzelte auf Tenedos und die englische Ballonhalle auf Imbros anscheinend erfolgreich mit Bomben und brachten wertvolle Erkundungen der feindlichen Seestreitkräfte. Am 9.VIII. – wie ober erwähnt - wurde ein feindliches U- Boot durch die Fliegerbombe eines Wasserflugzeuges vernichtet.“[iv] Nach Abzug der alliierten Truppen bei Ariburnu waren die Flugzeuge der Wasserfliegerabteilung fast täglich an der Südspitze unterwegs und konnten bereits Indizien melden, die auch auf einen baldigen alliierten Abzug von dort schließen lassen konnten. Diese Meldungen wurden aus ungeklärten Gründen jedoch nicht weitergemeldet und konnten somit nicht in der taktischen Planung der 5. Armee umgesetzt werden. Bis zum Jahresende hatte die Wasserfliegerabteilung vier Flugzeuge durch Bruchlandungen oder Windschäden verloren, aber noch keine personellen Verluste zu beklagen. Das Personal bestand zu jener Zeit aus drei Offizieren, einem Fähnrich, zwölf Piloten und 48 türkischen Matrosen für insgesamt fünf Flugzeuge. Die Lieferung von Ersatzflugzeugen warf jedoch auch in Deutschland Probleme auf, da auch dort jede flugklare Maschine benötigt wurde. So gab es immer wieder Streit zwischen Marine und Heer, wer die nötigen Flugzeuge an die Türkei abzugeben hätte.
Die Piloten der Wasserfliegerabteilung zeigten sich als unerschrockene Improvisationskünstler, wie aus folgenden Schilderungen hervorgeht. Am 25. Januar 1916 berichtete Flg.Mt Stenzel, der als Beobachter zusammen mit dem Ob.Flg.Mat Schuetz mit Flugzeug 237 einen Nachtflug zur Bombardierung der Flugschuppen bei Tenedos durchführte: „Aus 800 m Hoehe im Gleitflug ueber Tenedos auf 600 m herunter gegangen. 3 Bomben auf Schuppen abgeworfen. Saemtliche i. unmittelbarer Naehe der Zelte explodiert. Darauf neuer Anlauf. 4. Bombe vom Tragdeck ueber den ersten Schuppen abgeworfen, welche in ein zur Flugstation gehoeriges groesseres Zelt fiel und dort sofort einen starken Brand erzeugte. Waehrend der ganzen Zeit sehr lebhaftes Schrapnell und Gewehrfeuer von allen Teilen der Insel, am Muendungsfeuer kenntlich. Vor erneutem Anlauf erhielt der Flugzeugführer Schuetz einen Schuss durch den linken Oberschenkel, der infloge des starken Austrittkanals einen grossen Blutverlust mit sich fuehrte. Infolge der zunehmenden Schwaeche Notlandung bei Seddulbahr. Darauf hob ich Schuetz in den Beobachtersitz, verband notdürftig die Wunde und rollte nach dem Fort Hamidie, woselbst ich sofort weitere aerztliche Hilfe besorgte.“[v] Der zweite Bericht von Flugmaat Meuser beschrieb einen Flug, den er zur Lieferung von Benzin an ein wegen Treibstoffmangels notgewassertes Flugzeug seiner Abteilung unternahm. Während des Fluges musste auch er notwassern, da die Zündung des Motors aussetzte. Er war allein unterwegs und landete ca. 400 m vom Ufer entfernt: „Nachdem ich einzelne Kerzen gereinigt hatte, versuchte ich wieder zu starten, doch der Motor sprang nicht an. Ich mußte selbst durchdrehen und den Anlasser bedienen. Da keine Hilfe von Land aus zu sehen war, so sprang ich ins Wasser und schob die Maschine 80 – 100 m vor mir her, dann hatte ich Grund und konnte die Maschine weiter an Land schieben. Nachdem ich alle Kerzen gereinigt hatte, kamen 6 türkische Soldaten, denen ich klargemacht hatte, daß dies ein deutsches Flugzeug sei und befahl diesen, sich auszuziehen und stelle 2 an den Schwanz und einen an jedes Tragdeck zum Festhalten, denn der Strand war sehr steinig wodurch die Schwimmer stark gefährdet wurden. Die beiden anderen Soldaten mußten den Propeller durchdrehen, während ich Schalter und Anlasser bediente. Nach ca. 20 Min. lief der Motor u. aus Vorsicht nahm ich den einen Türken mit und startete zur Maschine 573. Nach 15 Minuten traf ich dort ein und konnte meine Aufgabe erledigen.“[vi]
Mitte 1916 hatte die Wasserfliegerabteilung bereits neun Maschinen und zwei Ersatzflugzeuge. Bis dahin war diese Abteilung eine rein deutsche Einheit, da die Bildung eines entsprechenden türkischen Verbandes offensichtlich Probleme bereitete, wie aus einem Bericht von Admiral von Usedom zu entnehmen war: „Die Frage der Schaffung eines eigenen Wasserflugwesens macht den den leitenden türkischen Kreisen Schwierigkeiten. Das Marineministerium hat 3 solche Flugzeuge in Deutschland beschafft und 3 Offiziere als Flieger ausbilden lassen. 3 weitere Wasserflugzeuge sind unterwegs. Beobachter und Monteure fehlen noch. Als daher vor einiger Zeit das Marineministerium in Verbindung mit der Flotte (Mittelmeer-Division) an mich mit dem Ersuchen herantrat, diese neuen Flugzeuge unter Beibehaltung ihrer Eigenschaft als türkische der deutschen Seefliegerabteilung anzugliedern und ihre Ausbildung zu fördern, hatte ich mich zunächst – solange es sich nur um einige Fahrzeuge handelte – unter Stellung einiger Bedingungen dazu bereit erklärt.“[vii] Der Einsatz der Wasserflugzeuge als Kampfflugzeuge jenseits der Beobachter- oder Bomberrolle war jedoch nicht möglich. So schrieb von Usedom im April 1917: „Zu groesseren Luftkämpfen ist es nicht gekommen. Von den deutschen Wasserflugzeugen war nur eins, das aber wegen seiner schlechten Flug- und Steigeigenschaften als Kampfflugzeug nicht geeignet ist, mit einem Maschinengewehr ausgeruestet, die anderen Wasserflugzeuge konnten nur Bomben mit sich fuehren. Der Mangel an Seekampfeinsitzern hat sich hierbei besonders fuehlbar gemacht.“[viii]
[i] BA/MA, RM 5 / 2387, Bericht ueber Wasser-Flieger-Abteilung
[ii] BA/MA, RM 5 / 2387
[iii] BA/MA, RM 5 / 2387, Bericht von Usedom, 10. September 1915
[iv] BA/MA, RM 5 / 2404, Bericht von Usedom, 31. Oktober 1915
[v] BA/MA, RM 5 / 2387, Bericht ueber den Nachtflug des Flugzeuges 237
[vi] BA/MA, RM 5 / 2387
[vii] BA/MA, RM 5 / 2405, Bericht von Usedom, 30. Mai 1916
[viii] BA/MA, RM 5 / 2405, Bericht von Usedom, 16. April 1917