Die Schlacht von Gallipoli 1915
Die deutsche Beteiligung
Fliegerstaffeln 1 & 6
In den Kämpfen um Gallipoli sollte auch die türkische Fliegertruppe zum Einsatz kommen. Deren Aufbau begann schon kurz nach Beginn des Ersten Weltkrieges.
Ende November 1914 bat die türkische Führung um deutsche Hilfe zum Aufbau einer eigenen Fliegerschule[i]. Obwohl der Schwerpunkt des deutschen Oberkommandos für alle Fliegerkräfte an der Westfront lag, stellte von Falkenhayn der Türkei eine kleine Gruppe von Piloten, Technikern und Flugzeugen zur Verfügung. Oberleutnant Erich Serno, der seit 1911 in der Deutschen Fliegertruppe diente, wurde zur Deutschen Militärmission „zur Begründung und Leitung einer türkischen Fliegertruppe“[ii] nach Istanbul kommandiert. Das notwendige Material wurde auf dem Landweg durch das neutrale Rumänien und Bulgarien transportiert und zur Tarnung als Zirkusausrüstung oder Sendungen des Roten Kreuzes deklariert. Jeder dieser Transporte wurde von Piloten und Mechanikern in ziviler Kleidung begleitet. Mit seiner Ankunft in der Türkei wurde Serno, wie bei allen deutschen Offizieren der Militärmission üblich, in den nächsthöheren Rang befördert und war nun offiziell der Kommandant der türkischen Flugschule in San Stefano[iii] am Marmara-Meer. Seine Aufgabe war neben Bildung und Organisation einer türkischen Fliegertruppe auch die Aufstellung fronttauglicher Staffeln für die unterschiedlichen Kriegsschauplätze der türkischen Armee. Zunächst konzentrierte sich Serno auf die Ausbildung und musste nicht nur für die fliegerischen, sondern auch die Versorgung und technische Ausstattung Sorge tragen. Etliche türkische Mechaniker, Schmiede, Tischler und Kraftfahrer wurden hier zu Flugzeugmechanikern und Piloten geschult. Finanzielle Unterstützung dafür bekam er auch von deutschen Betrieben, wie der türkischen Zweigstelle der Deutschen Bank, welche die notwendigen Übersetzer- und Schreibdienste dieser Einheit bezahlte.
Hauptmann Serno erweiterte während des Krieges nicht nur kontinuierlich die Flugschule. Es gelang ihm auch, einen Wetterdienst in der Türkei aufzubauen. Dazu konnte er 1916 Professor Dr. Weichmann von der Universität Leipzig gewinnen. Weiterhin sorgte er sich um eine Fertigung von Flugzeugteilen im Lande und konnte dafür die Unterstützung der Benz-Motorenwerke in Istanbul erreichen. Schließlich entwarf er sogar das türkische Flugzeugführerabzeichen, die Schwinge mit Halbmond und Stern, die an Uniform und Mütze getragen wurde. Trotz Sernos unentwegter Aktivität beschrieb der berühmte deutsche Jagdflieger Oswald Boelke noch Mitte 1916 die Umstände bei der türkischen Flugschule als „dürftig“, würdigte allerdings auch die Leistungen seines Fliegerkameraden: „Wir fuhren mit dem Auto durch Stambul [...] und einigen Kasernen vorbei durch öde Gegend nach St. Stefano und besichtigten die dortige Fliegerstation. Hier hat sich Serno ein recht nettes Reich aus dem Nichts geschaffen – alle Beschaffungen stoßen ja bei dem Versagen der hiesigen Industrie, die vorläufig eigentlich weiter nichts als ein frommer Wunsch ist, auf große Schwierigkeiten.“[iv] Nachdem Rumänien und Bulgarien die getarnten Lieferungen für die Flieger aufgedeckt hatten und eine Passage auch durch hohe Bestechungsgelder nicht mehr möglich war, wurde das Deutsch-Türkische Fliegerhilfskommando in Czernèheviz in Ungarn gebildet. Es war eine kleine Versorgungseinheit mit einem Flugfeld nahe des dortigen Bahnhofes. Die in der Türkei benötigten Flugzeuge wurden zunächst per Eisenbahn in zerlegtem Zustand dorthin transportiert, wieder zusammengesetzt, Zusatztanks eingebaut und dann über feindliches (Serbien) und neutrales Gebiet (Bulgarien) bis über die türkische Grenze nach Edirne geflogen. Dort wurde wieder aufgetankt und die rund 200 Kilometer lange Strecke bis zum Auslieferungsort San Stefano weitergeflogen. Das erste Flugzeug, das auf diesem Wege in türkische Dienste überführt wurde, war eine Rumpler B I und wurde von Frank Seidler geflogen, der später in der türkischen Fliegertruppe als Oberleutnant Dienst tat.
Dieser Transportweg war aufwendig, rund 500 km lang, dauerte über vier Stunden und war daher nicht sehr verlässlich und risikoreich. Bis März 1915 konnten auf diese Weise nur vier Flugzeuge überführt werden. Ab November 1915, nachdem Bulgarien auf Seite der Mittelmächte in den Krieg eingetreten war, konnte die Versorgung über die Donau zum bulgarischen Donauhafen Ruschuk und dann weiter mit der Eisenbahn nach Istanbul erfolgen. Die ersten Flugzeuge waren unbewaffnet und nur für Beobachtungsaufgaben geeignet. Sie waren zu schwach motorisiert und konnten daher weder besonders hoch noch schnell fliegen. Trotzdem wurden drei dieser vier Flugzeuge von Serno der Gallipolifront zugeteilt.
Bereits im Februar 1915 war ein Vorauskommando mit der Erkundung und dem Aufbau eines Flugplatzes und entsprechender Unterstützungseinrichtungen nach Gallipoli geschickt worden. Der Flugplatz wurde ca. drei Kilometer von Çanakkale auf der asiatischen Seite eingerichtet. Es wurde sogar eine kleine Halle gebaut, in der ein Flugzeug gewartet werden konnte. Serno selber kümmerte sich um den Transport der ersten Maschine auf einem Torpedoboot und meldete sich am 17. März 1915 beim Befehlshaber der Meerengen, Admiral von Usedom. Er wurde herzlichst begrüßt, da das Erscheinen des ersten Flugzeuges dort auch eine große moralische Unterstützung der Truppen darstellte, die bislang nur feindliche Maschinen am Himmel gesehen hatten. Oberst Kannengiesser schrieb darüber: „Es war ein Freudentag, als der erste deutsche Flieger mit dem Eisernen Kreuz über unseren Häuptern erschien. Das war das Verdienst des Chefs der türkischen Feldfliegerabteilung, des vortrefflichen Hauptmann Serno. Bis dahin hatten die Engländer freies Spiel in den Lüften gehabt, das sie zu unglaublichem Übermut verführte, ein Zeichen, wie sicher sie sich fühlten.“[v] Der erste Flug am frühen Morgen des 18. März führte, wie bereits beschrieben, zur Aufklärung des alliierten Flottenangriffes. Als sich die Flotte geschlagen zurückzog, startete Leutnant Seidler am Nachmittag zusammen mit dem türkischen Kapitänleutnant Hüseyin Sedat als Beobachter einen weiteren Flug mit der Rumpler B 1 bis nach Imbros und zur Mudros-Bucht, wo sie zwar beschossen wurden, aber unverletzt den Rückzug der feindlichen Flotte beobachten konnten.
Als die Lage nach dem Flottenangriff etwas ruhiger wurde, kehrte Serno nach Istanbul zurück und erkundete dabei auf dem Rückweg ein Flugfeld auf der europäischen Seite. Er kam am 24. März wieder in der Hauptstadt an und wurde durch den Kriegsminister mit der Türkischen Kriegsmedaille und der Silbernen Liakat-Medaille ausgezeichnet. Die Staffel in Gallipoli bekam noch zwei weitere Flugzeuge, die leistungsstärkeren Albatros B I, die jedoch wegen technischer Probleme kaum einsetzbar waren. Daher trugen die Hauplast der Beobachtungsflüge aber auch der begrenzten Einsätze als leichter Bomber die drei Rumpler-Maschinen. Der erste Staffelkapitän war Ludwig Preussner, der zunächst als Unteroffizier nach Istanbul gekommen war und hier nun einen türkischen Offizierrang bekleidete. Ähnlich war es mit den Technikern aus Deutschland, die in der Regel als Unteroffizierdienstgrade dienten.
Auf ihren Aufklärungsflügen entdeckte die Staffel bald die Truppenansammlung bei Imbros und Tenedos, die auf eine baldige Landungsoperation hindeutete. Weiterhin wurden feindliche Einrichtungen bombardiert. Die britische Seite vermerkte dazu, dass „die türkischen Flieger [..] bei der Bombardierung der Flugplätze sehr gute Arbeit [machen].“[vi] Während der alliierten Landungen Ende April war es den Fliegern kaum möglich gewesen, die Aufklärungsergebnisse rechtzeitig an das Hauptquartier der 5. Armee zu übermitteln. Grund dafür waren die Unterstellungsverhältnisse und die damit längeren Meldewege, die zusätzlich durch oft zerstörte Meldemittel erschwert wurden. Daher befahl von Sanders die direkte Unterstellung der Staffel unter die 5. Armee, die mit der Umbenennung in die Fliegerstaffel 1 im Mai erfolgte. Um aber die Verbindung weiter zu verbessern, wurde die Fliegerstaffel Ende Juni 1915 in die Nähe der Stadt Galata auf die europäische Seite verlegt. Auf dem alten Flugfeld verblieben lediglich Flugzeugattrappen, was dessen – beabsichtigte – weitere Bombardierung verursachte.
Ende Dezember 1915 wurden die ersten Maschinen vom Typ Fokker E III an die türkische Fliegertruppe ausgeliefert, nachdem Serno in Deutschland die besten Flugzeuge für die Gallipolifront gefordert hatte. Dabei handelte es sich um einen wendigen Eindecker, dessen Maschinengewehr nach vorne synchronisiert durch den Propellerkreis schoss. Mit diesen Flugzeugen wurde die neue Fliegerstaffel 6 ausgestattet, die deswegen auch „Fokker-Staffel“ genannt wurde. Oberleutnant Joachim Buddecke führte die Einheit, die Piloten waren ausnahmslos deutsche Offiziere und Unteroffiziere. Buddecke beschrieb seine Ankunft auf Gallipoli, wo er nicht nur mit den Eigenarten des Heereslebens, sondern auch den türkischen Verhältnissen bekannt wurde: „Die Oberkommanden von Armeen pflegen meist anders auszusehen. Hier stiegen wir eine Treppe hinunter in das Verließ einer niedrigen, mit Kiefern bestandenen Schlucht [...] das eine Ende der Schlucht bildet das deutsche Quartier, das andere das türkische [...] Serno stellte mich dem Adjutanten des Marschalls, Major Prigge, vor, und mit ihm gingen wir höher in die Schlucht hinauf und warteten vor einem Zaun, der das Häuschen des Oberbefehlshabers umgab. Bald trat er heraus, und ich stand vor einem Heerführer, der eben den Engländern eine der größten Niederlagen des Krieges beigebracht hatte, die unabsehbar war [...] am Nachmittag verbrachte ich im Kasino über einer Karte [...] Ich traf übrigens einen Etappenkommandanten, der diese Tatsache als einziger beklagte. Die Sache war so originell, daß ich sie hier anführe. Dem Mann mangelte jegliches Mittel, seine Untergebenen zu bestrafen. Arrest wäre für sie genauso bequem gewesen wie Freizeit. Prügelstrafe ist wohl erlaubt, aber die wollte er auch nicht jeden Tag anberaumen. So verfiel er auf ein anderes, teuflisches Mittel. In der Bucht des Hafens von Akbasch, der fast täglich vom Feinde mit Bomben belegt wurde, baute er – nach oben deutlich sichtbar – drei weiße Soldatenzelte auf. Das gegebene Ziel, und nun verhängte er nach Gebühr Arrest. Der wurde dann eben in diesen Zelten verbüßt. Es war nichts einfacher als das.“[vii]
Am 6. Januar 1916 erzielte die Staffel die ersten beiden Luftsiege durch Oberleutnant Buddecke, der nächste Luftkampf wurde bereits am 7. Januar durch Theodor Croneiss sowie ein weiterer am Folgetag wieder durch Croneiss gewonnen. Am 9. Januar schoss wieder Buddecke ein alliiertes Flugzeug ab, was aber nicht bestätigt werden konnte. Am 11. Januar erzielte Hans Schüz seinen ersten Abschuss und am 12. Januar erlangte Buddecke erneut einen Luftsieg, der sein insgesamt sechster und sein dritter über Gallipoli war, worauf er von Enver mit der Goldenen Liakat-Medaille ausgezeichnet und zum Hauptmann befördert wurde. 25. und 26. Januar gewann wieder Buddecke jeweils einen Luftkampf, wovon einer nicht bestätigt werden konnte. Sein nächster Abschuss am 27. Januar gegen eine Farman war sein 8. bestätigter Abschuss. Damit hatte diese Staffel in einem Monat acht bestätigte Abschüsse zu verzeichnen, ohne selber eigene Verluste hinnehmen zu müssen. Während des Rückzuges der Alliierten wurden vor allem weiter Aufklärungsflüge durchgeführt. Die Wasserflugzeuge sollten dabei auch Feldlager der ANZACs und Artilleriestellungen bombardieren. Nach dem Abzug der Alliierten wurde die gesamte Luftverteidigung vom Golf von Enos über Smyrna bis zum Golf von Auxandretta der Fliegerstaffel 1 bei Galata übertragen, aber die Luftkämpfe, Aufklärungsflüge aber auch Bombenangriffe der türkischen Fliegerstaffeln wurden auch danach noch fortgesetzt.
Am 4. Februar erzielte Theodor Croneiss einen Abschuss; weitere von Buddecke Ende März und am 4. April blieben unbestätigt. Am 14. April 1916 erhielt Hauptmann Buddecke den Orden „Pour le Mérite“. Er beschrieb seinen letzten, dazu notwendigen Luftsieg über Gallipoli wie folgt: „Ich mochte etwa zwanzig Meter von ihm entfernt sein, als der riesige Vogel senkrecht vor mir in die Höhe stieß. Gleich warf ich meine Maschine nach links, dann nach rechts, um ihn nicht auf mich fallen zu lassen und doch zu sehen. Die mächtige Maschine lag halb auf dem Rücken und fiel. Neben mir sauste ein Etwas, vor dem mir schauderte, steinartig ins Freie – dann schoß eine weiße Rauchwolke hervor, gleich darauf entzündete sie sich, und wie ein Komet schoß die brennende Maschine nach unten. Nach wenigen hundert Metern schon fing sie sich wieder, stellte sich plötzlich in die normale Ebene. Das Feuer ging aus, die Tragflächen brachen nach oben zusammen, und wie ein Federball trudelnd wurde sie kleiner und kleiner, sechs Kilometer vom Flughafen. Ich landete. Als mein Vogel ausrollte, gab es einen knallartigen Ruck in der Maschine. Die fliehenden Soldaten hatten die Klötze, die ich zum Start benötigte, liegen lassen, um Hals über Kopf davon zu stürzen. Ein solcher Klotz hatte mir einen Hauptflügel durchgerissen. Ich sah sofort, daß ich nun für Tage außer Gefecht gesetzt war [...] [und] die Leute, die herbeieilten, um mir Hände, Kleider und Schuhe zu küssen.’Allah kann viel’ sagten sie, ‚und die Deutschen.’“ [viii]
Im Juli 1916 bekamen die Flieger auf Gallipoli prominenten Besuch durch das deutsche Fliegerass Hauptmann Oswald Boelcke, der zu diesem Zeitpunkt bereits 19 bestätigte Abschüsse und damit ebenfalls den „Pour le Mérite“ trug. Er wurde bei seiner Ankunft am 14. Juli von seinen Fliegerkameraden am Bahnhof in Istanbul-Sirkici abgeholt und von der Militärmission und den Kameraden der Marine intensiv betreut. Boelcke schrieb dazu in seinem Tagebuch: „Zu Mittag war ich Gast bei der Marine auf dem ‚General’ und nachmittags fuhr ich mit Kapitän Deckert und anderen Herren durch den Bosporus nach Therapia, wo der deutsche Ehrenfriedhof liegt. Dann fuhren wir zur ‚Goeben’ und ‚Breslau’, wo ich wirklich reizend aufgenommen wurde. Nach einer Besichtigung der beiden Schiffe und anschließendem Abendessen war an dem herrlichen Sommerabend Konzert auf Deck. Beim Weggang hat mich Kapitän Ackermann, der Kommandant der ‚Goeben’, hochleben lassen und die Matrosen haben mich auf ihre Schultern genommen. Was sie nicht alles machen – wer hätte das früher gedacht!“ [ix]. Aber Boelcke genoß neben dienstlichen Belangen auch gewisse Urlaubsfreuden, wie beispielsweise bei einer Reise nach Izmir. „20.7. Mittags bei Exz. Liman v. Sanders, der sehr nett war und sich mit Buddecke und mir photographieren ließ [...] 22.7. Vormittags mit einigen Herren und Damen in Kordilo baden, von wo uns Buddecke mit einer Jacht abholte. Das war herrlich! Die Aussicht vom Golf auf die Berge ringsum und auf Smyrna selbst ist wundervoll. Am Abend waren wir zum Tee beim österreichischen Konsul, wo sich alles mögliche Volk traf; es wurde in allen Zungen gesprochen.“ [x]
Boelcke besuchte auch Gallipoli, war aber sehr enttäuscht, dass er nicht dorthin fliegen durfte, sondern mit der Bahn anreisen sollte. „25.7. Jetzt muß ich doch auf dem langen Wege über Panderma-Istanbul nach den Dardanellen fahren. Im Flugzeug wäre ich in 2 ½ Stunden drüben, aber Buddecke will mir durchaus keins geben. Er führt tausend Gründe dagegen an, doch glaube ich, daß er vom Feldflugchef oder gar vom großen Hauptquartier die Instruktion hat, daß ich auch hier nicht fliegen dürfe.“[xi] Offensichtlich flog Boelcke in Gallipoli keinen Einsatz mit, sondern machte nur in Begleitung von Meinecke einen Flug am 29.7. mit: „Dann machte ich mit dem Doppeldecker von Ltnt. Meinecke, der von Galata rübergekommen war, einen sehr schönen Flug über Troja, Kum-Kalessi nach Sedd-ul-bahr zu der alten englischen Stellung an den Dardanellen.“ Und auch seine Rückreise erfolgte im Flieger: „Nach kurzem Frühstück flog ich mit Meinecke, der mich abholte, erst nach Tschanak und dann an der Nordküste des Marmara-Meeres nach St. Stefano zurück.“[xii]
Während also die Kämpfe zu Land bei Gallipoli völlig beendet waren, kämpfte die türkische Fliegertruppe ebenso wie die Marine in diesem Operationsgebiet weiter. Am 27. Januar 1917 startete Oberleutnant Emil Meinecke mit einer Fokker E III vom Flugfeld der Fliegerstaffel 6 in Galata um eine „Ehrenrunde“ aus Anlass des Kaisers Geburtstages über dem Fort Hamidié zu fliegen. Dort wurde er von sechs britischen Flugzeugen angegriffen, die ihn, aus Mangel an Bordbewaffnung, mit Pistolen versuchten zu bekämpfen. Im anschließenden Luftkampf traf er zwei Maschinen, von denen eine notwasserte, die anderen flohen zurück nach Imbros. Er selber konnte wegen Ladehemmung nicht noch weitere Maschinen beschießen. Dies war sein erster Luftsieg für die türkische Fliegertruppe. Emil Meinecke war im Herbst 1915 zur Fliegerstaffel 1 nach Gallipoli versetzt worden, nachdem er zunächst als Fluglehrer in San Stefano tätig war. Er flog an der Front meist Aufklärungsflüge mit einer Albatros C III; Prinz Hohenlohe von Öhringen diente als sein Beobachter. Im April 1916 war er wieder an die Flugschule zurückgekehrt; wurde dann aber Chef der Fliegerstaffel 6, die er in Vertretung für Theodor Croneiss führte. Er flog fortan eine Fokker E III, mit der er auch in 1917 seine Luftsiege erzielte.
Am 12. Februar 1917 gewann Meinecke einen weiteren Luftkampf gegen eine Bristol Scout D, die er zu einer Notlandung zwang. Der Pilot, der kanadische Leutnant Gordon Bysshe, ahnte allerdings bei der Auswahl seines Notlandefeldes nicht, dass er sich für das Flugfeld der Fliegerstaffel 6 entschieden hatte und somit rasch zum Kriegsgefangenen wurde. Die Bristol Scout wurde repariert – so hatte beispielsweise der Propeller durch das eigene, nicht synchronisierte Frontmaschinengewehr neun Einschüsse erhalten. Meinecke selbst unternahm den ersten Testflug mit der instandgesetzten Maschine, aber bei einem weiteren Flug wenige Tage später fiel der Motor aus und die Bristol ging zu Bruch ohne dass jedoch Meinecke zu Schaden kam.
Mitte Oktober 1917 wurden die Fliegerkräfte in Istanbul und Gallipoli deutlich verstärkt, um eine bewegliche Reserve zur Absicherung des Besuches von Kaiser Wilhelm II bereit zu haben. Oberleutnant Rudolph von Eschwege, auch bekannt als der „Adler der Ägäis“, da er damals schon 16 bestätigte Abschüsse hatte, kam mit zwei weiteren Staffeln nach Gallipoli, die aber nicht eigesetzt werden mussten.
Am 20. Oktober 1917 unternahm die türkische Flotte, nun unter dem Kommando von Admiral Hubert von Rebeur-Paschwitz, den Versuch, aus den Dardanellen einen Angriff gegen die alliierte Flotte zu fahren. Die GOEBEN erlitt dabei so schwere Minentreffer, dass sie den Angriff abbrechen musste und nun von feindlichen Fliegern angegriffen wurde. Die BRESLAU, die ebenfalls aus der Luft angegriffen wurde, sollte nahe an die GOEBEN heranfahren, um unter deren Flakschutz zu kommen. Dabei lief sie in ein Minenfeld und sank nach mehreren Minentreffern. Die GOEBEN erlitt einen weiteren Minentreffer und lag nahezu manövrierunfähig in der Dardanelleneinfahrt. Um die feindlichen Fliegerangriffe abzuwehren, wurden alle verfügbaren Fliegerkräfte zum Schutz der GOEBEN eingesetzt. Oberleutnant Meinecke, der Croneiss als Staffelkapitän vertrat, wurde von Admiral Merten’s Hauptquartier über die Lage informiert. Bei der Fliegerstaffel waren nur er und Erich Muhra verfügbar, die nun rund um die Uhr zum Schutz des havarierten Kreuzers flogen. Die GOEBEN lief in langsamer Fahrt bis nach Nagara, wo sie auf Grund lief. Die alliierten Fliegerkräfte starteten sofort nach Erkennen dieser misslichen Lage eine der größten Luftoffensiven des Ersten Weltkrieges gegen ein Schlachtschiff. Am 23. Januar 1918 schoss Meinecke seine fünfte feindliche Maschine ab und am 24. Januar gelang dem mittlerweile aus Istanbul zurückgekehrten Theodor Croneiss ein weiterer Luftsieg. Am 26. Januar konnte die GOEBEN endlich wieder seeklar gemacht werden und nach Istinye in die Docks fahren. Auf das Schiff waren von ca. 60 Flugzeugen in über 250 Einsätzen rund 15 Tonnen Bomben geworfen worden, die allerdings kaum nennenswerten Schaden verursacht hatten.
Am 29. Januar 1918 erlangte Meinecke seinen sechsten und letzten Luftsieg über Gallipoli gegen eine Sopwith Camel. Am 23. Mai schoß Theodor Croneiss sein fünftes Feindflugzeug ab. Im Laufe des Jahres konnten, vor allem durch das Mitwirken von Major Serno, aus Deutschland neue Maschinen geliefert werden, dabei einige A.E.G. C IV, Albatros D III und sieben Fokker D VII, von denen vier noch im Oktober 1918 nach Gallipoli überführt wurden. Anfang August starteten Emil Meinecke und Offiziersstellvertreter Kurt Haaring nach einer Alarmierung und wurden beide in Luftkämpfe verwickelt. Während Meinecke seinen Gegner abschütteln konnte, erlitt Haaring einen Bauchschuss. Er konnte zwar noch sicher landen, verstarb aber am 17. August 1918 an seinen Verletzungen. Er war, nach heutiger Kenntnis, der einzige Gefallene der Fliegerstaffel 1. Anfang Oktober wurde Erich Muhra durch fünf Schüsse in einem Luftkampf schwer verwundet, überlebte aber.
Im Zuge des Krieges kam es vermehrt zu Auseinandersetzungen zwischen deutschen und türkischen Soldaten und das folgende Beispiel zeigt, wie weit teilweise die Konflikte gehen konnten. Am 15. August 1918 schrieb Vize-Admiral Merten an Admiral Usedom von einem Vorfall, bei ein deutscher Offizierstellvertreter, Pilot bei der Feldfliegerabteilung 1 Galata, von einem türkischen Hauptmann gefesselt und geschlagen worden wäre und forderte daraufhin, dass „der Chef des Stabes der Gruppe Oberstltn. Schewfik Awni, ein bekannter Deutschenhasser, aus seiner Stellung entfernt werden“ müsse. Der Bericht des Staffelkapitäns sagte zu dem Vorfall, bei dem ein englisches Beuteflugzeug überführt werden sollte, aber von der türkischen Wachmannschaft entgegen höheren Befehls nicht herausgegeben wurde, folgendes: „Nach Start des engl. Flugzeuges stürzten die 10 Wachmannschaften mit aufgepflanztem Seitengewehr auf das zurückgebliebene Flugzeug. Der Flugzeugführer Schlüter wehrte sich und wurde gefesselt. Werkmeister Zsihau und der immer noch gefesselte Schlüter wurden nach Kuludag gebracht. Der dort befindliche Wachoffizier, ein Hauptmann Mehmed, schlug dem Offz. Stllv. Schlüter mit der Hand ins Gesicht. Darauf wurde die Besatzung in einem dunklen alten Eselstall gestoßen und dem Schlüter die Fesseln abgenommen. Der Hauptmann ließ sich nicht mehr sehen. Er ließ nur sagen, auf Befehl der Gruppe sollten sie eigentlich gefesselt werden, er sähe aber davon ab. Abends wurde die Besatzung in ein vergittertes Zimmer gebracht, in welchem sich Holzbänke befanden. Als Nahrung wurde ihnen 1 Brot und Wasser gereicht [...] Die entstandenen Schwierigkeiten rühren von dem Chef des Stabes dem Oberstleutnant Schewfik Awni her, der als deutschenfeindlich bekannt ist.“ [xiii]
Die folgende Begebenheit zeigt, dass an der Gallipolifront bisweilen auch mit Rücksicht gegenüber dem Feind gehandelt wurde. Oberleutnant Franz Eicke, Luftbeobachter in der Fliegerstaffel 1, berichtet in seinen Aufzeichnungen, dass es zwischen den feindlichen Fliegerstaffeln üblich war, über abgestürzte Besatzungen zu informieren und Gefangene auch zu versorgen, indem Briefe und Gepäck abgeworfen wurde: „Dazu schreibt der Abgeschossene an seine Kameraden einen Brief, in dem er außer der Benachrichtigung seiner Angehörigen darum bittet, seine Sachen um die und die Zeit an einen bestimmten Platz zu bringen. Dieser Brief wird aus der Luft über dem feindlichen Flughafen abgeworfen, und die Kameraden des Gefangenen besorgen dann prompt das Gewünschte. Für die Maschinen, die solchen Auftrag fliegen, ist ein besonderes Leuchtzeichen verabredet, das eine Bekämpfung durch den Gegner ausschließt.“[xiv]
Eicke, der als Beobachter einen solchen Versorgungsflug im September 1918 durchführte um Briefe von zwei gefangenen feindlichen Fliegern, einem Griechen und einem Franzosen, auf der Insel Imbros abzuwerfen, berichtet folgendes: „Schon ist die Abwurftasche über Bord, noch ein Blick nach unten, wo die Tasche mit dem schwarzweißroten Wimpel langsam sich dem Boden nähert. Auf der Erde sieht man jetzt allerhand Leutchen nach der Stelle rennen, die Maschine gewinnt langsam Höhe und nimmt Kurs Nordost.“ Er wurde trotzdem von zwei gegnerischen Flugzeugen angegriffen. „Was soll denn das heißen, werden unsere Vereinbarungen nicht mehr eingehalten [...] und da geht’s auch schon los, die erste Ladung kracht uns um die Ohren [...] Es ist nur gut, daß die beiden so herzlich schlechte Schützen sind, denn es ist nicht viel anders, als wenn ein alter, dicker Brummer sich mit zwei Mücken herumbalgen würde. So trostlos wie an diesem Morgen habe ich jedenfalls die Minderwertigkeit des Materials beim türkischen Bundesbruder noch nie empfunden; aber was hilft es schließlich, die guten Maschinen sind im Westen mehr als nötig.“[xv] Nach der Landung hatte die Maschine 23 Treffer und die deutsche Besatzung war sehr erbost über diesen entgegen den Vereinbarungen erfolgten Angriff. Doch schon am nächsten Tag überflog eine britische Maschine das deutsche Flugfeld und warf ebenfalls einen Beutel ab, der einen Brief mit dem folgenden Text beinhaltete:
„Königliches Fliegerkorps Imbros, 28. September 1918
Wir haben heute einen Beutel Briefe erhalten, den eine Ihrer Maschinen abgeworfen hat, für den ich Ihnen vielmals danke. Einer Ihrer Offiziere (ein Flugzeugführer), der bei Chios im Juli abgeschossen wurde, ist gefallen, aber der Beobachter ist gerettet, und es geht ihm gut. Wenn Sie sein Gepäck abwerfen wollen, will ich dafür sorgen, dass er es erhält. Es tut uns leid, dass unsere Jagdflieger Sie heute morgen verfolgt haben, aber die rote Leuchtkugel wurde nicht rechtzeitig gesehen. Ich würde es für besser halten, wenn Ihre Maschinen Briefe am Kap Kephalos abwerfen würden, und dann die rote Leuchtkugel abfeuerten, bevor Sie über der Küste sind. Das wird sicherer sein. Können Sie einen Beutel oder eine Schachtel nehmen, die schwimmt, wenn die Briefe ins Wasser fallen? Haben Sie Nachricht von einem unserer Offiziere, Leutnant Houghton? Meine Offiziere bitten mich noch hinzuzufügen, dass wir alle den anständigen Ton schätzen, in dem unser Luftkampf geführt wird. Wenn der Krieg zu Ende ist, wollen Sie dann nicht vielleicht zu uns zum Essen kommen?
Herzliche Grüße
An ‚unseren Freund den Feind’
Graham Donald, Hauptmann im Königlichen Fliegerkorps“[xvi]
Offensichtlich waren nicht alle türkischen Truppen von diesem „ritterlichen“ Verhalten überzeugt oder informiert und der Staffelkapitän beschwerte sich darüber, dass die Gaben an die gefangenen Piloten offensichtlich durch die türkische Dienststelle teilweise gestohlen wurden, wie aus der folgenden Meldung zu entnehmen ist: „Am 1.VIII. wurde auf Briefabwurf von uns 1 Sack Bekleidung für die beiden gefangenen Fliegeroffiziere hier abgeworfen. Die Bekleidung wurde revidiert und unter meiner persönlichen Aufsicht zusammengepackt und zur Gruppe geschickt. Laut Quittung der englischen Fliegeroffiziere fehlt ca. die Hälfte.“[xvii]
Diese und ähnliche Vorfälle mögen bei der Fliegertruppe üblich gewesen sein aber das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch auf diesem Kriegsschauplatz überwiegend unerbittliche Luftkämpfe ausgetragen wurden. Sie sind aus meiner Sicht auch noch lange kein Anlass, in bezug auf die Schlacht von Gallipoli von einem „Gentlemen’s War“ zu reden, wie es heute bisweilen von türkischer Seite her getan wird.
[i] AA/PA, Türkei 142, R 13322, Telegramm von Wangenheim vom 28. November 1914
[ii] BA/MA, L 05 1/1, Tagebuch des Major a.D. Erich Serno
[iii] St. Stefano ist heute der Stadtteil Yeşilköy und am Platz des alten Flugplatzes ist heute die türkische Ludtwaffenakademie sowie der internationale Fluglatz “Atatürk Airport”
[iv] Werner, Boelcke, S. 175
[v] Kannengiesser, Gallipoli, S. 144
[vi] Yilmazer, The Air War Çanakkale
[vii] Buddecke, El Schahin, S. 74 ff
[viii] Buddecke, El Schahin, S.
[ix] Interessant ist, dass die Besatzung für dieses Bild den Fez abgelegt hatte und die deutschen Matrosenmützen trugen.
[x] Werner, Boelcke, S.174
[xi] Werner, Boelcke, S.174
[xii] Werner, Boelcke, S.178
[xiii] BA/MA, RM 40 / 129
[xiv] Eberhardt, Unsere Luftstreitkräfte 1914-18, S. 210
[xv] Eberhardt, Unsere Luftstreitkräfte 1914-18, S. 210
[xvi] Eberhardt, Unsere Luftstreitkräfte 1914-18, S. 212
[xvii] BA/MA, RM 40 / 129